logo

Nach dem grossen Sandkasten und den Dünen komme ich zu meinem ersten Check Point. Natürlich ist im Roadbook dieser Check Point gross markiert und ich weiss, dass dort meine Karte den ersten Stempel erhält. Der Check Point liegt direkt an einer Nationalstrasse. Als Pilot deutet man nur auf die Tasche an der Jacke, wo sich die Stempelkarte befindet. Diese wird dann vom Kontrollpersonal herausgenommen, gestempelt und mit „gute Weiterfahrt“ geht es für mich in den zweiten Teil der Spezialetappe.

Vorgängig hatte ich mir in Google Earth die geografischen, markanten Eckpunkte gemerkt. Da ist ein Berg, der wie eine Zunge in die flache Landschaft ragt. Er liegt südöstlich von meiner Route. Aber, als ich dann vor einem wilden Wirrwarr von Wegen stehe, die sich planlos an einem Punkt in der Fläche kreuzen, da verliere ich die Orientierung. Welchen Weg muss ich da genau nehmen? Ich fahre in den mir am logischsten erscheinenden. Aber der ist es nicht, merke ich nach ein paar Metern, weil die anderen Fahrzeugspuren fehlen. Also, zurück. Ich probiere den nächsten und sehe, dass hier die Spuren wenden und zurück zur Kreuzung fahren.

In genau solchen Momenten ist mentale Stärke entscheidend. Ruhig Blut bewahren und nachdenken. Also, wie war das nochmals vor Jahren, als mir Carmelo Capdevila, ein Gaucho das Spurenlesen beigebracht hat? Er hat mir nicht nur das Lesen von Hufabdrücken beigebracht, sondern auch wie man erkennt, ob die Abdrücke der Reifenspuren aus der Vorwärtsbewegung oder der Rückwärtsbewegung kommen. Ich kam mir damals vor wie in einem Western und hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Als ich dann aber lernte, die Hufspuren dem entsprechenden Pferd zu zuordnen, ist mir das Grinsen vergangen.

Also beuge ich mich aus dem Quadsattel und lese die Reifenspuren. Und dann wird mir alles ganz einfach und klar. Ich biege in die richtige Spur ein und fahre munter weiter. Inzwischen hat sich die Sonne hinter Wolken versteckt und es wir kühler. Das grosse Salzbecken nehme ich gelassen. Das Road Book lese ich inzwischen mit grosser Routine. Und da steht, dass ich an einer Lagune, an einem Wasserloch, rechts dran vorbeifahren muss. Als ich vor dem Weg stehe, ist da nur noch ein breites Schlammbett mit tiefem Morast. Also, wenn ich mich hinein wage, werde ich bestimmt stecken bleiben. Und dazu habe ich nun überhaupt keine Lust. Ich begutachte das rechte Strassenbord und sehe, dass darauf zwar niedriges Buschwerk wächst, aber eines ohne Stacheln. „Big Brother, wir nehmen diesen Weg und hoffen, dass dahinter gutes Gelände ist, um wieder auf den eigentlichen Pfad abzubiegen.“ Das Buschwerk wird niedergewalzt. Eine meiner besten Entscheidungen heute, denn ich versenke mich nicht im Morast, sondern komme ohne grossen Zeitverlust wieder zurück auf den richtigen Weg.

Ich kann mich noch erinnern, dass irgendwann im Roadbook die Warnung vor Tieren auf der Piste kommt. Aber die Tiere halten sich nicht an den Aufschrieb. Sie überraschen mich nicht, als ich den ersten Viehstopper überfahren habe. Da stehen dann die Kühe und Stiere munter auf der „Strasse“. Mein Gehupe interessiert sie nicht sonderlich, also rufe ich wie von den Gauchos gelernt und sie bewegen sich zur Seite.

Diese Schotterpiste macht mir inzwischen so richtig Spass. Es geht flott voran. Wenn da nur nicht diese Kälte wäre. Ich treffe nun immer mehr auf Zivilsation. Ein Dorf erkenne ich schon von weitem, weil die Menschen dort andere Bäume gepflanzt haben, als das übliche Buschwerk, was in der Natur wächst. Vor allem die Pappeln sind sehr markant erkennbar. Dann taucht auf meinem Roadbook der Stopp auf und der Anfang der Neutralisation. Nun muss ich Geschwindigkeitsbegrenzungen einhalten, um ja keine Strafe zu kassieren. Ich habe nur ein Handicap, ich kann aus der normalen Sitzposition heraus das GPS nicht ablesen. Und dort steht die einzig wahre und richtige Geschwindigkeit. Ich weiss, dass ich spät dran bin. Es ist inzwischen bitter kalt. Ich zweifle daran, ob mein Serviceteam auf mich an der Strasse wartet. Aber tanken muss ich unbedingt.

Der Kontrollposten erwartet mich schon. Meine Karte wird wieder abgestempelt. Ich werde nach meinem Befinden befragt und ob mir sehr kalt sei. Mir ist sehr kalt. Dann wird mir noch mitgeteilt, dass ich nach der Neutralisation nicht mehr auf den letzten Teil der Spezialetappe gehen darf. Ich sei zu spät dran. Klar, Sonnenuntergang ist etwa um 17.30 h und wir haben schon 16.30 h. Also, ich muss über die Hauptstrasse zurück nach San Rafael fahren. 157 km. In 26 km sei aber auf der linken Seite eine Tankstelle. Die Organisation in San Rafael wird darüber informiert, dass ich auf direktem Weg ins Biwak fahre. Walter, der Kontrolleur sagt mir dann noch, dass ich immer noch auf 1‘450 m ü M bin und dass mit der Fahrt nach San Rafael auch Höhe vernichtet wird. Dann würde es auch wieder eine Spur wärmer.

Nach vielen Stunden Fahrzeit habe ich nun eine asphaltierte Strasse unter den Rädern. Und nun weiss ich, was mir damals Daniel Mazzucco an meinem Fahr- und Navigationskurs beigebracht hat. Auf diesen Verbindungsetappen muss man lernen, sich zu entspannen. Das klappt sogar. Aber ich schlottere inzwischen immer mehr.

Obwohl ich nun eigentlich nur noch so schnell wie möglich zur Tanke kommen möchte, muss ich mich an die Warnungen des Mechanikers erinnern. Ich darf zwischen 95 km/h und 105 km/h fahren, nicht schneller, um den Motor nicht zu überfahren. Das braucht wiederum mentale Stärke, Konzentration und Durchhaltewille.

Beim Einbiegen zur Tankstelle sehe ich einen weissen Ford Ranger. Leo und Andres, der Mechaniker warten auf mich! Welche eine Freude! Sogar der Teppich für meinen Big Brother ist schon ausgerollt. Ich gebe Andres schnell an, dass ich die Reifen nicht mehr aufgepumpt habe, nach dem Luftablassen in den Dünen. Dann begebe ich mich zur Toilette bei der Tankstelle und kann kaum meine Kleidung aus- und wieder anziehen. Die Unterwäsche ist immer noch feucht, obwohl die Funktionsunterwäsche sonst sehr gute Dienste geleistet hat.

Zurück beim Auto, werde ich in den geheizten Pickup gesetzt zum Auftauen. Nun habe ich auch endlich Zeit etwas zu essen. Aber nicht in Ruhe, denn vor dem Fenster taucht ein Journalist auf, der unbedingt mit mir ein Interview machen möchte. Ich drehe die Scheibe aber nur ein wenig runter, zu gut tut die warme Luft aus der Autoheizung. Wie lange meine Pause war, kann ich gar nicht sagen. Aber bevor ich nun wieder auf mein Quad steige, werde ich noch zusätzlich eingekleidet. Unter die Rallye-Jacke bekomme ich einen zugeschnitten Abfallsack übergestreift von Leo und dem Vater von Lino Sisterna. Er wartet auf seinen Sohn, der mit dem Buggy unterwegs ist. Ihn hatte ich zuletzt in den Dünen gesehen, als er das Starterpack an Gonzalo übergeben hat. Über die gesamte Kleidung kommen dann noch Regenhose und Regenjacke. Auch für die Hände gibt es eine Lösung. Über meine Handschuhe kommen ein Paar Gartenhandschuhe. Auch meine Sturmhaube aus Faserpelz kommt nun unter dem Helm zum Einsatz. Ich kann mich nun zwar nicht mehr bewegen, aber es ist warm unter diesen Schichten.

157 Kilometer sind noch abzureissen. Ich grinse. Noch nie im Leben bin ich so eine Strecke wie heute an einem Tag gefahren. Und mein Ziel, auf jeden Fall vor 20.00 h im Biwak zu sein, werde ich erreichen.

Big Brother schnurrt im vorgegebenen Tempo die Kilometer ab. Hinter mir ist mein Versorgungsfahrzeug. Ich bin glücklich. Mein erster Rallyetag. So viele Eindrücke, so viel gekämpft! Es ist schöner, als ich es mir immer vorgestellt habe.

Nach 1 ½ Stunden tauchen die Lichter der Stadt San Rafael auf. Am Biwakeingang wird meine Stempelkarte nochmals quittiert, mein GPS wird ausgelesen, die abgefahrenen Waypoints werden notiert und dann geht es zum Servicezelt.

Ich werde von allen mit einem grossen Hallo empfangen, mir wird auf die Schultern geklopft, ich werde gefeiert. Ich habe die Dünen von Nihuil bezwungen! Na ja, nicht ohne Hilfe.

Lange dauert aber das Gejubel nicht. Pilotenroutine. Ausziehen, umziehen, Abendessen. Fernando hat bereits mein Roadbook für den nächsten Tag vorbereitet. Das ist purer Luxus! So erspart er mir 2 Stunden Arbeit am Roadbook. Wir schauen es aber trotzdem kurz zusammen an, damit gewisse Eckpunkte in meinen Gedächtnisspeicher finden.